RöKo 2019 – Sascha Lobo zum Digitalen Wandel in der Medizin

RöKo 2019 – Sascha Lobo zum Digitalen Wandel in der Medizin

„In Ihrer Fachrichtung gibt es jede Menge sensationeller Entwicklungen. Vermutlich vergeht keine Woche, in der nicht eine neue Ära ausgerufen wird.“ Sagt Sascha Lobo, Autor und Blogger, in seiner viel beachteten Röntgen-Vorlesung.

  • Datum:
    04.06.2019 0 Kommentare
  • Autor:
    mh/ktg
  • Sprecher:
    Sascha Lobo, Berlin
  • Quelle:
    100. Deutscher Röntgenkongress

Digitale Infrastruktur: Deutschland zieht gleich mit Angola

„Die Radiologen sind in der Medizin diejenigen, die sich am frühesten der Bedeutung der Datenübertragung bewusst waren“, lobte der Autor und Blogger Sascha Lobo sein Publikum in einer viel beachteten Röntgen-Vorlesung.

Leider hätten längst nicht alle die Zeichen der Zeit erkannt: Deutschland habe schon vor Jahrzehnten die Glasfaserverkabelung verschlafen, versorge derzeit nur 2,3% seiner Haushalte mit dieser zeitgemäßen Technologie und liege damit gleichauf mit Angola (EU-Durchschnitt 13,9%).

Derselbe Fehler wiederhole sich nun beim Aufbau schneller 5G-Netze, wenn PolitikerInnen wie die Bundesbildungsministerin Karliczek meinen, 5G sei ‚nicht an jeder Milchkanne’ notwendig. „Eine Unverschämtheit“, konstatierte Lobo.

Digitale Körperlichkeit und digitale Arzneimittel

‚Digitale Körperlichkeit’ werde das nächste Megathema, so Lobo. Nach der Entwicklung vom Desktoprechner über das Handy hin zu den am Körper getragenen Wearables wie der Apple Watch würden die Datenströme demnächst bis in den menschlichen Körper hineinreichen.

So hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA erstmalig eine sogenannte ‚Digitale Pille’ zugelassen: Das von Otsuka (Japan) und Proteus (USA) entwickelte mit Sensoren angereicherte Neuroleptikum sendet nach der Einnahme Signale aus dem Körperinneren. Diese werden zunächst über ein App erfasst und dann auf eine Cloud weitergeleitet. Die Idee dahinter: Die Medikamenteneinnahme zu kontrollieren und die korrekte Anwendung des Arzneimittels zu verbessern.

„Das ist unglaublich effizient“, so Lobo. „Wir leben in Zeiten des exponentiellen Fortschritts. Daten, die uns gestern noch komplett egal waren, können morgen schon eine Branche verändern.“ Das ziehe sich durch alle Wirtschaftsbereiche.

Datenbegeisterung ohne Grenzen

„Die Menschen lieben es, ihre Daten zu teilen“, so Lobo. Das klinge zwar zunächst nach einer etwas steilen These, er habe aber festgestellt, dass die Datenbegeisterung keine natürlichen Grenzen kenne. So lässt sich mit dem App Hula HQ der eigene Status hinsichtlich Geschlechtskrankheiten erheben – und mit Freunden teilen. „Wenn Menschen die richtige Motivation haben, dann werden Sie auch ihre intimsten Daten teilen“, zeigte sich Lobo überzeugt.

Gesundheit werde zum digitalen Lebensstil. Apple, Google und Co pushen dieses Marktsegment immer mehr: Mit der Apple Watch lasse sich jetzt schon ein EKG machen, auch wenn das klinisch noch nicht ganz tauglich sei, so Lobo. Apple versuche, das iPhone zum One-Stop-Shop für Gesundheitsdaten zu machen. Echtzeit-Datenströme würden die Effizienz solcher Systeme noch enorm steigern.

„Der Druck zur Individualisierung kommt von den Patienten. Die werden zukünftig mit immer mehr selbst erhobenen Gesundheitsdaten zu Ihnen kommen und von Ihnen, den Ärzten, selbstverständlich verlangen, diese Daten mit zu berücksichtigen.“

Die Großapologeten irren

Geoffrey Hinton sorgte 2016 für Aufmerksamkeit mit der provozierenden Aussage, angesichts des KI-Potenzials könne man aufhören, Radiologen auszubilden. Ins gleiche Horn stieß Andrew Ng im November 2018, als er die Radiologen warnte, sie müssten sich langsam um den Fortbestand ihrer Jobs Sorgen machen.

„Was diese Großapologeten sagen, halte ich für totalen Unfug“, sagte Lobo. Er erwarte vielmehr, dass sich die Disziplin der Radiologie aufspreizen werde.

Ganz ähnliche Sorgen wie viele Radiologen bewegten auch den Harvard-Genetiker Mohammed AlQuraishi. In seinem Blog „Some Thoughts on a Mysterious Universe“ schildert AlQuraishi, der sich schwerpunktmäßig mit Proteineinfaltung befasst, wie er durch aktuelle KI-basierte Forschung (‚AlphaFold’) auf einmal seine wissenschaftliche Daseinsberechtigung in Frage gestellt sah. Mit etwas Abstand kam er zum Ergebnis: Aus wissenschaftlicher Sicht ist der KI-basierte Fortschritt uneingeschränkt zu begrüßen. Kopf in den Sand geht nicht, daher gelte es die neuen Techniken anzunehmen und sich nutzbar zu machen.

Cloudbasiert Faxen

Wenn ein System gut funktioniere – und das bezog er auf das deutsche Gesundheitswesen – dann sei die Motivation zur Veränderung gering. Wie dringend diese aber erforderlich sei, illustrierte Lobo anhand einer überraschenden Erkenntnis von Google: Im Gesundheitswesen wird nach wie vor viel gefaxt, weil viele Akteure dies nicht nur als einfache, sondern vor allem als sichere Datenübertragung wahrnehmen. Google erweitert seine Clouddienste nun um entsprechende Schnittstellen, um auch gefaxte Informationen zu erfassen.

Leseempfehlung ‚Radiologie & KI’

„Das, was man über Radiologie und Künstliche Intelligenz wissen muss, finden Sie bei Danilo Pena“, so Lobo. Die Serie von zehn Artikeln findet sich bei „Towards Data Science“.

Abschließend empfahl Lobo den Radiologen, ihre Zunft von der bildgebenden zur bildungsgebenden Disziplin weiterzuentwickeln: „Wer die Datenströme am besten auswerten kann, wird die größte Macht haben.“

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